Erste Lesung des E-Government-Gesetzes

In der 222. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages am – leider! – 21. 2. fand die erste Lesung des E-Government-Gesetzes statt. Entsprechend §§ 79 und 80 der Geschäftsordnung gab es keine Aussprache –

§ 79 Erste Beratung von Gesetzentwürfen

In der ersten Beratung findet eine allgemeine Aussprache nur statt, wenn es vom Ältestenrat empfohlen, bis zum Aufruf des betreffenden Punktes der Tagesordnung von einer Fraktion oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages verlangt oder gemäß §80 Abs. 4 beschlossen wird. In der Aussprache werden nur die Grundsätze der Vorlagen besprochen. Sachanträge dürfen nicht gestellt werden.

sondern wurden die Reden zu Protokoll gegeben. Im Anschluss wurde der Gesetzentwurf an die Ausschüsse verwiesen –

§ 80 Überweisung an einen Ausschuß

(1) Am Schluß der ersten Beratung wird der Gesetzentwurf … einem Ausschuß überwiesen; er kann nur in besonderen Fällen gleichzeitig mehreren Ausschüssen überwiesen werden, wobei der federführende Ausschuß zu bestimmen ist. Weitere Ausschüsse können sich im Benehmen mit dem federführenden Ausschuß an der Beratung bestimmter Fragen der Vorlage gutachtlich beteiligen.

namentlich an die Ausschüsse für Inneres (federführend); Recht; Wirtschaft und Technologie; Verkehr, Bau und Stadtentwicklung; Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie an den Haushaltsausschuss. (Die von der Geschäftsordnung noch als Besonderheit aufgefasste Überweisung an mehrere Ausschüsse ist nicht nur bei einem Querschnittsthema wie hier inzwischen üblich.)

Auch sonst wenig Überraschendes: Die Regierung und die sie tragenden Fraktionen sind für das Gesetz (hört, hört!), die Opposition dagegen (buh!).

Für die CDU/CSU gibt ihr innenpolitischer Sprecher Clemens Binninger die Rede zu Protokoll, in der er ebenso wie beim De-Mail-Gesetz nur lobende Worte findet:

digital vernetzt … rasant … großartige Chancen … reale Herausforderungen … nachhaltig erfolgreich … gestalten … die Bundesregierung … Hightech-Strategie … bedeutender Baustein … Deutschland … Spitzenposition … wichtigste Zukunftsmärkte … wichtiger Teil … moderne Veränderungen und Entwicklungen … Erhöhung … Servicequalität … Wertschöpfung … gut strukturierte und funktionierende Verwaltung … nutzerfreundliche, effizientere, einfachere, schnellere und rechtsverbindliche Angebote und Zugänge  … wichtiger Beitrag … moderne Verwaltung … wir schaffen … orts- und zeitunabhängige Verwaltungsdienste … Standortfaktor … Lebensqualität … Lebenswirklichkeit … Rechtssicherheit … sichere, vertrauliche und vor allem nachweisbare Kommunikation …Ressourcen schonen, Arbeitsschritte erleichtern, mehr Transparenz und mehr Bürgernähe erzeugen …

etc. pp.

Anders Georg Reichenbach für die SPD. Am Anfang noch ganz ähnlich:

… rasant … Herausforderung … immense Chancen … mehr Effektivität, mehr Bürgerfreundlichkeit und mehr Transparenz …

Aber dann: „Risiken, die bedacht und die angegangen werden müssen!“ Nicht zuletzt die für die kommunalen Haushalte. Damit legt er die Finger in die Wunde (ja, auch ich kann Phrasen!), und zeigt auf den Punkt, über den das ganze Gesetz trotz klarer Mehrheit im Bundestag noch stolpern kann: das Geld. Der Bundesrat hat sich klar und deutlich gegen die Übernahme weiterer kostenträchtiger Pflichten durch die Länder ausgesprochen, und nichts anderes sieht der Gesetzentwurf derzeit vor. Reichenbach hierzu:

Sie stellen gerade die Kommunen – dort, wo sie in Ausführung von Bundesgesetzen tätig werden und das Gesetz unmittelbar umsetzen müssen – vor gewaltige Herausforderungen – und das, ohne sich über die Kostenbelastung, die Sie ihnen damit aufbürden, das geben Sie in der Gesetzesbegründungoffen zu, nur im Entferntesten im Klaren zu sein – von der Frage, wer dies finanzieren soll, ganz zu schweigen.

Das halten wir für unverantwortlich, insbesondere wenn man bedenkt, dass der Bereich der Aufgabenverwaltung durch die Kommunen immer umfangreicher wird. … Die Anpassung an die digitale Welt belastet die gleichen kommunalen Haushalte, die ohnehin schon erheblich durch die Umsetzung der Kinderbetreuung beschwert sind und denen Sie die mögliche finanzielle Unterstützung für den notwendigen Ausbau der Betreuungsinfrastruktur durch Ihr unsinniges Betreuungsgeld entziehen.

Auch wenn durch die digitale Verwaltung  Effizienzgewinne zu erwarten sind, so müssen aber erst einmal Gelder dafür bereitgestellt werden. Gleiches gilt für die technische Infrastruktur und die Schulung von Mitarbeitern. Angesichts der  Haushaltskonsolidierungszwänge der Kommunen, die jeden Cent dreimal umdrehen müssen, ist das keine einfache Aufgabe.

Umso zynischer erweist es sich dann, dass Sie in der Gesetzesbegründung formulieren: „Grundsätzlich ist eine Abschätzung der Umsetzung des Gesetzes und der damit verbundenen Kosten- und Entlastungswirkungen mit Unsicherheiten belastet.“ Ich frage mich, was Sie einem Gemeindekämmerer sagen würden, der Ihnen seinen Haushalt mit diesem lapidaren Satz vorlegen würde! Hier bedarf es erheblicher Nachbesserungen.

Für Manuel Höferlin von der FDP ist das kein so großes Problem. Geld hat man (zu haben), Schwierigkeiten macht stets nur das Bezahlen:

Wir werden darauf achten, dass wir nicht nur Verwaltungsleistungen elektronisch anbieten. Wir werden auch sicherstellen, dass sie elektronisch bezahlbar sind. Denn ein E-Government-Gesetz würde nur wenig helfen, wenn hinterher doch noch ein Gang zum Amt erforderlich wäre, um zu bezahlen.

Im Ernst: Er spricht zwei Wahrheiten an: 1. „E-Government ist ein Muss!“ und, 2.:

Dabei müssen wir insbesondere die Lehren aus dem Signaturgesetz ziehen und beim E-Government-Gesetz darauf achten, dass die angebotenen Technologien nicht nur sicher und rechtsverbindlich, sondern auch nutzbar für die Bürgerinnen und Bürger sind und vor allem von diesen akzeptiert werden.

Genau das erscheint mir als eine besondere „Herausforderung“ (ein Wort, das alle drei Herren lieben).

Für die Linke beschreibt Jan Korte einen großen Bogen von Stuttgart 21 über das Presserechtsurteil des Bundesverwaltungsgerichts und Elena bis hin zu De-Mail und Zombies, und dann zum E-Government-Gesetz. Er spart hierbei nicht mit scharfen Worten:

Schwarz-Gelb … soziale Ausgrenzung, Entdemokratisierung, Datenschutzprobleme, Bürokratisierung und enorme Kosten … Großprojekte … krachend … Gigantomanie … soziale Schieflage … Millionen verschlungen… eingestampft … datenschutzrechtlich bedenklich … keinerlei Vorteile … Konfliktstoff … teuer … Datenschutzprobleme … gescheiterte E-Government-Großprojekte … größenwahnsinnig … tote Projekte wiederbelebt … keinerlei Zusatznutzen … unsicher oder teuer … kaum Anwendungsmöglichkeiten … kein Zusatznutzen … extrem viel Geld zum Fenster hinausgeworfen … verschleiert … Zombiepolitik …

etc. pp.

Dann begründet er, wieso (bis auf die bereits angesprochen Achilles-Ferse, das Geld): Der beabsichtigten Auflösung vieler Schriftformerfordernisse steht er kritisch gegenüber. Er fürchtet eine Verschiebung der Rechtssicherheit zulasten der Bürger, die gegenüber der Verwaltung in einer schwächeren Position seien. Die qualifizierte elektronische Signatur sei ein geeignetes Pendant, andere Verfahren seien dies nicht.

Sie wollen mit dem Gesetzentwurf die elektronische Kommunikation mit der Verwaltung erleichtern. Das klingt ebenfalls erst einmal gut. Das Problem dabei: In zahlreichen Fällen gilt zur rechtlichen Absicherung von Verwaltungsentscheidungen ein Schriftformerfordernis, also ein Schreiben mit Unterschrift, das man auf elektronischem Wege nur erfüllen kann, indem man die sogenannte qualifizierte elektronische Signatur, qes benutzt. Die Bundesregierung begründete allerdings vor gar nicht allzu langer Zeit das Scheitern von ELENA mit der „fehlenden Verbreitung der qualifiziertenelektronischen Signatur“ und vertrat die Meinung, dass der hohe Sicherheitsstandard, der „datenschutzrechtlich zwingend geboten war“, sich „auch in absehbarer Zeit nicht flächendeckend verbreiten“ würde. Jetzt wollen Sie in den entsprechenden Einzelgesetzen einführen, dass ersatzweise auch De-Mail oder die eID des neuen Personalausweises reichen soll. Das klingt elegant, ist nur eben nicht gerade sicherer.

Leider verheddert er sich im Folgenden etwas in den nicht ganz einfachen Einzelheiten von „Schriftform“, „Signatur“, „De-Mail“, „Ende-zu-Ende“ und dem Buzzword „sicher“. Wobei hier nicht alles wirklich mit allem und vor allem jedem zusammenhängt. So hat die von ihm gefordert Mailverschlüsselung nichts mit der Signatur oder der Schriftform zu tun. Richtig ist aber auch:

Mag sein, dass das Schriftformerfordernis nicht mehr überall zeitgemäß ist, wo es vorgeschrieben ist. Dann soll man das überprüfen und gegebenenfalls abschaffen. Stattdessen aber einfach andere, weniger sichere Verfahren zuzulassen, ist keine Lösung, sondern schlechte Politik.

Ganz meine Meinung! Der Gesetzgeber hat zu lange immer und überall dort die „Schriftform“ angeordnet, wo ihm eine ihrer Funktionen wichtig war. Das hat zu einer nicht mehr überschaubaren Zahl an Schriftformvorgaben geführt. Roßnagel hat sie mal grob auf 4.000 geschätzt (und dann eine pseudogenaue „3.907“ draus gemacht); bis heute hat es keiner geschafft, das zu überprüfen, weshalb die Zahl seitdem durch die Literatur und die Bundestagsdrucksachen geistert. Noch weniger kann die Bundesregierung oder sonst irgendwer es offenbar leisten, jede der Schriftformvorgaben darauf zu untersuchen, welchem Zweck sie dient, und die Gesetze entsprechend zu entschlacken. Das aber wäre nötig. So bleibt dem Gesetzgeber nur das generelle Absenken der formellen Vorgaben. Das ist nicht sauber, aber vielleicht doch nicht so dramatisch, wie Korte annimmt.

Im Folgenden dann rührt er mit Genuss in der angesprochenen offenen Wunde herum und führt die wieselweichen Angaben der Gesetzesverfasser zu den möglichen Kosten und anderen wirtschaftlichen Auswirkungen des Gesetzes vor. Viel bringen wird’s nicht. Der Bundesrat als erste und einzige effektive Gegenmacht, wie gesagt, hat schon gerechnet.

Bleiben die Grünen mit Konstantin von Notz. Er vermisst zunächst Regelungen, die  wahrhaft „Open Data“ mit sich bringen, um dann noch zu sagen:

Schließlich erlauben Sie mir noch wenige Worte zu De-Mail und zum neuen Personalausweis. Wie Sie wissen, bin ich bei diesen IT-Großprojekten nach wie vorskeptisch, ob sie überhaupt jemals die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen werden. Und die bislang vorgelegten Zahlen und Entwicklungen stützen meine Bedenken. Viel zu wenige Bürgerinnen und Bürger nutzen die mit dem Personalausweis unnötigerweise verbundenen Funktionalitäten, weil es die Angebote schlicht nicht gibt. Ob die öffentliche Verwaltung es rausreißen kann – man wird sehen.

Man wird sehen.

(Die Rede des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Ole Schröder entspricht der von Clemens Binninger. Keine Überraschungen.)

 Bundestags-Protkoll 17/222 vom 21. Februar 2013.