Kammergericht zum digitalen Nachlass

Update zu „De-Mail im digitalen Nachlass“ :

Das Kammergericht hat die Facebook zur Herausgabe verpflichtende Entscheidung des Landgerichts Berlin (Urteil vom 17. Dezember 2015, Aktenzeichen 20 O 172/15) aufgehoben und die Klage der Eltern auf Zugang zum Facebook-Konto abgewiesen. Es sah sich insbesondere aus Datenschutzgründen gehindert, den Eltern Zugang zu den bei Facebook hinterlegten Kommunikationsdaten der verstorbenen Tochter zu gewähren.

Aus der Pressemitteilung:

[Das Gericht] müsse jedoch die Frage der Vererbbarkeit des Facebook-Accounts nicht entscheiden. Selbst wenn man davon ausgehe, dass dieser Account in das Erbe falle und die Erbengemeinschaft Zugang zu den Account-Inhalten erhalten müsse, stehe das Fernmeldegeheimnis nach dem Telekommunikationsgesetz entgegen. Dieses Gesetz sei zwar ursprünglich für Telefonanrufe geschaffen worden. Das Fernmeldegeheimnis werde jedoch in Art. 10 Grundgesetz geschützt und sei damit eine objektive Wertentscheidung der Verfassung. Daraus ergebe sich eine Schutzpflicht des Staates und auch die privaten Diensteanbieter müssten das Fernmeldegeheimnis achten. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 16.6.2009, 2 BvR 902/06, BVErfGE 124, 43) erstrecke sich das Fernmeldegeheimnis auch auf E-Mails, die auf den Servern von einem Provider gespeichert seien. Denn der Nutzer sei schutzbedürftig, da er nicht die technische Möglichkeit habe, zu verhindern, dass die E-Mails durch den Provider weitergegeben würden. Dies gelte entsprechend für sonstige bei Facebook gespeicherten Kommunikationsinhalte, die nur für Absender und Empfänger oder jedenfalls einen beschränkten Nutzerkreis bestimmt sind.

Die nach dem Telekommunikationsgesetz vorgesehenen Ausnahmen würden entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht greifen. Zwar sehe das Gesetz vor, dass einem Dritten Kenntnisse vom Inhalt der Kommunikation verschafft werden dürfe, wenn dies erforderlich sei. Als erforderlich könne jedoch nur angesehen werden, was dazu diene, den Dienst technisch zu ermöglichen oder aufrecht zu erhalten. Da Facebook jedoch seine Dienste nur beschränkt auf die Person des Nutzers angeboten habe, sei es auch aus der Sicht der ebenfalls schutzbedürftigen weiteren Beteiligten am Kommunikationsvorgang (Chat) in technischer Hinsicht nicht erforderlich, einem Erben nachträglich Zugang zum Inhalt der Kommunikation zu verschaffen.

Ebenso wenig existiere eine andere gesetzliche Vorschrift, die erlaube, von dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses eine Ausnahme zu machen (sogenanntes „kleines Zitiergebot“). Insbesondere das Erbrecht nach dem BGB lasse nicht erkennen, dass der Gesetzgeber den Willen gehabt habe, das Fernmeldegeheimnis einzuschränken. Auch aus sonstigen Gründen sei es nicht geboten, ohne gesetzliche Regelung Ausnahmen zuzulassen und von dem so genannten “kleinen Zitiergebot“ abzuweichen.

Das klingt zunächst schlüssig. § 88 TKG ist eine strenge Vorschrift zum Schutz auch gespeicherter Kommunikationshalte. Die Vorschrift im Wortlaut:

 § 88 TKG. Fernmeldegeheimnis. (1) Dem Fernmeldegeheimnis unterliegen der Inhalt der Telekommunikation und ihre näheren Umstände, insbesondere die Tatsache, ob jemand an einem Telekommunikationsvorgang beteiligt ist oder war. ….

(3) Den [Diensteanbietern] ist es untersagt, sich oder anderen über das für die geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste einschließlich des Schutzes ihrer technischen Systeme erforderliche Maß hinaus Kenntnis vom Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation zu verschaffen. Sie dürfen Kenntnisse über Tatsachen, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, nur für den in Satz 1 genannten Zweck verwenden. Eine Verwendung dieser Kenntnisse für andere Zwecke, insbesondere die Weitergabe an andere, ist nur zulässig, soweit dieses Gesetz oder eine andere gesetzliche Vorschrift dies vorsieht und sich dabei ausdrücklich auf Telekommunikationsvorgänge bezieht. …

Die Vorschrift ist aber so streng, dass sie über das Ziel deutlich hinausschießt. Das wird besonders deutlich in einem Nachlassfall wie hier. Denn bei einem absoluten Vorrang des Geheimnisschutzes stehen die Erben bald im Dunkeln. Auch Gewerbetreibende haben ihre Informationen längst nicht mehr (nur) auf Papier und in faktischen Handelsbüchern. Sie speichern die Daten elektronisch. Und das nicht immer auf einem Rechner, auf den der Erbe physisch Zugriff nehmen kann. Oft sind die Daten in der Cloud. Wenn nun dem Anbieter untersagt sein soll, die Daten Dritten — und damit auch: den Erben — zu offenbaren, können die das bis eben noch gut laufende Geschäft gleich mal dicht machen. Wohl dem, dessen Erblasser mit einer Vollmacht vorgesorgt hat!

Viele Autoren im juristischen Schrifttum haben sich daher bereits der Schwierigkeiten angenommen, die aus der Strenge der Vorschrift resultieren. Das Kammergericht verwirft aber alle Lösungsansätze als unzureichend. Schon für die Auseinandersetzung mit den jeweils kurz dargestellten Ansätzen ist die Entscheidung lesenswert. Billigenswert ist ihr Ergebnis deshalb aber nicht. Sie erscheint etwa kurzsichtig vor dem Hintergrung der offenbaren Probleme.

Ich hoffe, die Kläger legen die zugelassene Revision ein. Jedenfalls aber ist der Gesetzgeber aufgerufen, die Misere zu bereinigen. Das große Presseecho (bedingt natürlich durch den Namen „Facebook“ und auch durch den tragischen Anlass des Falls, ein Unfalltod einer 15-jährigen) dürfte helfen, das Problem auch ihm deutlich zum machen.

Kammergericht, Urteil vom 31. Mai 2017, Aktenzeichen 21 U 9/16