De-Mail im digitalen Nachlass

Zum Jahreswechsel 2015/16 machte die Entscheidung des Landgerichts Berlin im Verfahren 20 O 172/15 vom 17. Dezember 2015 die Runde in den Nachrichten und Blogs: Das Landgericht verurteilte Facebook zur Herausgabe der Account-Daten an die Erben, hier: die Eltern des verunfallten Kindes. Es qualifizierte den Vertrag mit Facebook als „schuldrechtlichen Vertrag mit miet-, werk-und dienstvertraglichen Elementen“ und lehnte es ab, „nur die vermögensrechtlichen Teile des digitalen Nachlasses, nicht hingegen die nicht-vermögensrechtlichen“ als vererblich anzusehen. Das sei praktisch nicht durchführbar und verstoße zudem gegen die Praxis in der Papierwelt: „Briefe und Tagebücher sind unabhängig von ihrem Inhalt vererblich.“

Die Entscheidung klärt Fragen, die sich unabhängig von Facebook allgemein stellen. Sie zitiert denn auch an zentraler Stelle den Aufsatz von Klaus Brisch und Marco Müller-ter Jung aus der CR 7/2013 (CR 2013, 446) mit dem Titel „Digitaler Nachlass – Das Schicksal von E-Mail- und De-Mail-Accounts sowie Mediencenter-Inhalten“. Ein guter Anlass, den Aufsatz hier vorzustellen.

Die Gedanken der Autoren zur Vererblichkeit von De-Mail-Konten und zum Zugriff der Erben auf diese sind höchst interessant. Sie begründen zunächst, wie ausgeführt, das Recht des Erben zum Zugriff auf den Account des Verstorbenen, das nicht anders zu regeln sei als bei anderen Schuldverhältnissen. Fehlten vorrangige Abreden, sei der Anbieter verpflichtet, den Zugang zu gewähren. Dem stehe insbesondere Datenschutzrecht nicht entgegen. Der Anbieter sei mit einem Vermieter zu vergleichen, der “ Erben Zugang zu der Mietwohnung des Verstorbenen gewährt. Er hat nicht die Obliegenheit, in der Wohnung befindliche Gegenstände nach solchen vermögensrechtlicher und solchen nichtvermögensrechtlicher Natur zu sortieren.“

Bei De-Mail-Konten bestehe aber die Besonderheit, dass das De-Mail-Gesetz zum erklärten Ziel habe, den Zugang zum De-Mail-Konto von einer eindeutigen Identifizierung des Kontoinhabers abhängig zu machen. Hieran würden zahlreiche Rechtsfolgen geknüpft. Das werde unterlaufen, wenn statt des namentlich bekannten Kontoinhabers — womöglich auch nur: eventuell — ein Dritter Zugriff erhalte und etwa im Namen des Inhabers Nachrichten versenden könne, ohne seine besondere Stellung deutlich machen zu müssen.

Brisch und Müller-ter Jung lösen diesen Konflikt durch einen nur eingeschränkten Zugriff auf das Konto. Sie schlagen vor, dass Erben nur lesenden Zugriff auf das Konto erhalten. So können sie einen Überblick über die eingegangenen und noch während der Vertragsdauer eingehenden De-Mails erhalten und den Nachlass geordnet abwickeln, ohne aber nach außen „als Kontoinhaber“ auftreten zu können. De-Mails, die eine sichere Anmeldung des Empfängers voraussetzen (§ 5 Abs. 4 De-Mail-Gesetz), könnten nicht zugestellt werden.

Die Lösung überzeugt mich. Die Technische Richtlinie De-Mail sollte entsprechend ergänzt werden.

Klaus Brisch und Marco Müller-ter Jung, „Digitaler Nachlass – Das Schicksal von E-Mail- und De-Mail-Accounts sowie Mediencenter-Inhalten“, CR 2013, 446.
[Bezahl-Link]

Fürs größere Bild: Antonia Kutscher, Der digitale Nachlass, Vandenhoeck & Ruprecht, 2015

[Update 2017-06-12: Das Kammergericht hat die Entscheidung des Landgerichts gekippt: Kammergericht zum digitalen Nachlass]