Das VG Köln hat in einer jedenfalls unter TK-Juristen vielbeachteten Entscheidung Googles GMail-Dienst als „Telekommunikationsdienst“ im Sinne des § 6 Abs.1 TKG bewertet mit der Folge, dass Google als Anbieter den Betrieb des Dienstes bei der Bundesnetzagentur als Aufsichtsbehörde anzeigen muss (VG Köln, Urteil vom 11. November 2015 – 21 K 450/15).
Da die Entscheidung E-Mail-Anbieter im allgemeinen trifft, sind ihre Aussagen auch relevant für De-Mail-Anbieter.
Die maßgeblichen Vorschriften
Die Vorschrift lautet:
§ 6 TKG
Meldepflicht(1) Wer gewerblich öffentliche Telekommunikationsnetze betreibt oder gewerblich öffentlich zugängliche Telekommunikationsdienste erbringt, muss die Aufnahme, Änderung und Beendigung seiner Tätigkeit sowie Änderungen seiner Firma bei der Bundesnetzagentur unverzüglich melden. Die Erklärung bedarf der Schriftform.
In Rede stand hier die Alternative „Wer … gewerblich öffentlich zugängliche Telekommunikationsdienste erbringt…“ und damit in erster Linie das Verständnis des Wortes „Telekommunikationsdienste“. Der Begriff ist legaldefiniert in § 3 Nr. 24 TKG:
§ 3 TKG
BegriffsbestimmungenIm Sinne dieses Gesetzes ist oder sind …
24. „Telekommunikationsdienste“ in der Regel gegen Entgelt erbrachte Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, einschließlich Übertragungsdienste in Rundfunknetzen;
Die Entscheidung
Das VG Köln entschied, E-Mail-Dienste hätten in erster Linie die Übertragung von Nachrichten zum Inhalt. Sie würden in Form von Signalen über Telekommunikationsnetze transportiert, nämlich über das Internet. Die Dienstleistungen würden auch in der Regel gegen Entgelt erbracht. Zwar sei GMail selbst ebenso kostenfrei wie vergleichbare Dienste (GMX, Web.de …) – das aber nur für den Nutzer. Das „Entgelt“ zahlten gewissermaßen für ihn die Werbetreibenden. Unerheblich sei, dass Google für die Übertragung der Signale keine eigenen Netze nutze. Das sei nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Urteil vom 30. April 2014 – C-475/12 Rdnr.?43) nicht maßgeblich. Im Ergebnis müsse Google die Diensterbringung anzeigen (und ist dann auch im Übrigen den Regelungen des Telekommunikationsgesetzes unterworfen).
Die Kritik
Die Entscheidung triffft auf erhebliche Kritik in der Literatur. Die Anwälte Andreas Grünwald und Christoph Nüßing etwa stellen sie in der MMR 2/2016 ab S. 91 in einen weiteren Kontext, den der „over the top-Angebote“. Bei diesen nutzt der Inhaltsanbieter die technische Dienstleistung der Signalübertragung durch Access-Provider zur Kommunikation seiner Inhalte. Das können Videoangebote wie Netflix sein, transportiert über die Infrastruktur genuiner Kabelanbieter, die sich damit letztlich selbst kanibalisieren helfen. Die Angebote gehen gewissermaßen über ihren Kopf hinweg, und damit auch die damit verbundenen höheren Gewinnmargen. Entsprechendes gilt, so Grünwald/Nüßing, für internetbasierte Kommunikationsdienste. WhatsApp ist tatsächlich ein gutes Beispiel für einen Dienst, der das sehr gewinnträchtige Geschäftsmodell der textbasierten Nachrichtenübertragung mittels SMS beerdigt hat. Er nutzt die von den Unternehmen bereitgestellten Internetkapazitäten, deren Inhaltsdienste er übernommen hat. Die Nutzer zahlen, kurz gesagt, nur noch für Internet auf dem Handy, und nichts mehr für SMS. (Weshalb die Access-Provider sich nun einen Anteil am Kuchen anders abschneiden wollen.) WhatsApp und GMail bezahlen die Nutzer mit Daten.
Vor diesem Hintergrund kritisieren Grünwald und Nüßing nun die rasche Bejahung des Merkmals der Entgeltlichkeit durch das VG Köln. Zwar werde der Dienst gewerblich erbracht, doch eben gerade entgeltfrei – für den Nutzer, auf den es ankomme. Es gehe gerade um Verbraucherschutz, das heißt um die Schutz desjenigen, der für die Dienstleistung in der Regel zahle. Fraglich sei auch das Merkmal der Signalübertragung; hier müsse das OSI-Schichtenmodell maßgeblich für die Abgrenzung sein mit der Folge, dass lediglich die Schichten 1-4 (Bit-Übertragung, Sicherung, Vermittlung und Transport) Telekommunikation seien, nicht auch die höheren, eher inhaltsbezogenen Schichten. Es sei auch unsinnig, Google Mail und vergleichbare Dienste dem Telekommunikationsgesetz zu unterwerfen. Dieses habe eine ganz andere Zielrichtung, viele Vorgaben passten einfach nicht. Das beträfe ganz deutlich den Verbraucherschutz (Kostenregulierung, Leistungsregulierung, Wettbewerbssicherung, Rufnummernvorgaben, Einzelverbindungsnachweis), doch auch die Telekommunikationsüberwachung.
Die Lage bei De-Mail
De-Mail ist technisch ein besonderer E-Mail-Dienst. Eine Besonderheit ist die jedenfalls grundsätzlich vom Gesetzgeber vorgesehene Entgeltlichkeit. (Tatsächlich verzichten die Anbieter mangels Markt noch heute auf die Erhebung von entsprechenden Entgelten.) Aus diesem Grunde stimmte ich der Einschätzung der Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren zu, De-Mail sei sowohl Telemedium wie auch Telekommunikation. Aus dem Kommentar:
(D)E-Mail-Dienstleistungen sind Telemediendienste im Sinne des § 1 TMG, das heißt elektronische Informations- und Kommunikationsdienste (Spindler, CR 2011, 309/311). Sie sind aber zugleich „Telekommunikationsdienste“ im Sinne des § 3 Nr. 24 TKG , das heißt in der Regel gegen Entgelt erbrachte Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen. Sie unterliegen, da die Datenübertragung nicht ihr ausschließlicher Inhalt ist, sowohl dem Telemedien- wie dem Telekommunikationsgesetz (BT-Drs. 16/3078, 13; 16/12598, 14 = 17/3630, 19), hinsichtlich der Datenschutzbestimmungen indes eingeschränkt durch § 11 Abs. 3 TMG (BT-Drs. 16/3078, 15). Von „reinen“ Telekommunikationsdiensten … unterscheiden sich De-Mail-Dienste dadurch, dass sie die Nachrichten nicht nur transportieren und gegebenenfalls bis zum Abruf vorhalten. Hinzu kommen die besonderen Postfachdienste, die Webmail-Diensten ähnlich sind …
Skrobotz, in: Manssen, Telekommunikations- und Multimediarecht, Erich-Schmidt-Verlag, K § 1 Rdnr. 62.
Wie Grünwald und Nüßing hatte und habe aber auch ich deutliche Vorbehalte gegen die unbesehene Anwendung des Telekommunikationsrechts auf (D)E-Mail-Dienste:
Das Telekommunikationsgesetz kann allerdings nicht uneingeschränkt, sondern nur „entsprechend“ Anwendung finden, wie § 7 Abs. 4 – bezogen auf § 47 TKG – „klarstellend“ formuliert (BT-Drs. 17/4893, 20; ähnlich Spindler, CR 2011, 309/310: anwendbar nur, soweit es um die Fragen der technischen Sicherheit und Ausgestaltung des Kommunikationsprozesses geht). So unterliegen die Diensteanbieter nicht der Aufsicht der BNetzA als Aufsichtsbehörde nach dem TKG, sondern der des BSI (Rdnr. 21; K § 2). Sodann sind nicht anwendbar die Vorschriften des TKG, die auf eine Umsetzung des grundgesetzlichen Regelungsauftrages der Art. 73 Abs. 1 Nr.7 und 87f GG zielen. De-Mail-Dienste gehören nicht zu den Arten der (Fern-)Kommunikation, die von Verfassungs oder auch nur Gesetzes wegen flächendeckend und allgemein zugänglich sein müssen … Entsprechend finden die Marktregulierungsvorschriften keine Anwendung, die einen funktionierenden Wettbewerb erst herstellen sollen, insbesondere durch spezielle Anforderungen an die marktbeherrschenden Unternehmen, sowie die Vorschriften über den Universaldienst (§§ 78 ff. TKG). Gleiches gilt für alle rundfunks- (§§ 48 ff. TKG), frequenz- und nummern- (§§ 52 ff. TKG) sowie leitungsbezogenen Vorschriften wie die „Zusammenschaltung“ und den „Zugang“; die Verpflichtung der Diensteanbieter zum Zusammenwirken ist in § 18 Abs. 1 Nr. 3 gesondert geregelt … Auch einer Entgeltregelung bzw. ?regulierung enthält sich das De-Mail-Gesetz bewusst … Anwendung finden hingegen – im erwähnten geringerem Umfang – die Vorschriften über den Kundenschutz (§§ 43a, 44a, 45e, 45i. 45j TKG) sowie die über die Teilnehmerverzeichnisse und den hierbei zu beachtenden Datenschutz (§§ 47 und 104 f. TKG; § 7 Abs. 4; der in BT-Drs. 17/4893, 19 zusätzlich erwähnte § 45m TKG findet keine Anwendung, da er nur „Anbieter eines öffentlichen Telefondienstes“ verpflichtet; diese Lücke füllt § 7 Abs. 1. Auch § 78 Abs. 2 Nr. 2 TKG findet wie erwähnt keine Anwendung.). Eine der Rufnummernportabilität gemäß § 46 TKG entsprechende Vorschrift enthält das Gesetz ausdrücklich nicht …
Skrobotz, in: Manssen, Telekommunikations- und Multimediarecht, Erich-Schmidt-Verlag, K § 1 Rdnr. 63.
An dieser Einschätzung würde ich jedenfalls in Bezug auf De-Mail trotz der aufgezeigten Kritik festhalten.
Fazit
Ich bin sehr gespannt auf den Ausgang des Rechtsstreits. Die Entscheidung des VG Köln ist nichgt rechtskräftig. Angesichts der Beteiligten ist auch wahrscheinlich, dass er durch die Instanzen getragen wird. Das Rechtsgebiet ist so stark europarechtlich determiniert, dass letztlich der EuGH angerufen werden muss.
VG Köln, Urteil vom 11. November 2015 – 21 K 450/15 –, MMR 2016, 141 = CR 2016, 131
Andreas Grünwald, Christoph Nüßing: Kommunikation over the Top – Regulierung für Skype, WhatsApp oder Gmail?, MMR 2016, 91.
[Update 2016-03-11]
Die Entscheidung des VG Köln beruft sich maßgeblich auch auf einen Aufsatz von Jürgen Kühling und Tobias Schall in der Computer und Recht (Kühling/Schall: WhatsApp, Skype & Co. – OTT-Kommunikationsdienste im Spiegel des geltenden Telekommunikationsrechts, CR 2015, 641). Die Autoren legen darin dar, warum die aus ihrer Sicht „besseren Gründe … dafür sprechen, jene Dienste [wie E-Mail, WhatsApp etc.] bereits de lege lata [dh bei heutiger Rechtslage] als öffentlich zugängliche TK-Dienste i.S.d. § 3 Nr. 24 TKG bzw. öffentlich zugängliche elektronische Kommunikationsdienste i.S.d. Art. 2 lit. c) RRL einzustufen und die OTT-Unternehmen als ‚Anbieter‘ dieser Dienste damit grundsätzlich den telekommunikationsrechtlichen Regelungen des TKG und den zugrunde liegenden europäischen TK-Richtlinien zu unterwerfen.“
Dieser Auffassung tritt vehement entgegen Fabian Schuster in wiederum einem Aufsatz in der Computer und Recht (Schuster: E-Mail-Dienste als Telekommunikationsdienste?, CR 2016, 173). In einer sehr ausführlichen Auseinandersetzung mit den einzelnen Tatbestandsmerkmalen (Telekommunikation, Dienst, Entgelt) zerpflückt er die Argumentation von Kühling und Schall. Er grenzt dabei die Verarbeitung von E-Mails von ihrem Transport ab und will nur letztere als Telekommunikation bezeichnet wissen. Die Grenze der Verantwortlichkeit bilde der „Router als Punkt der Netzwerkterminierung“. Alles diesseits sei Verarbeitung, alles jenseits („in der Wand“) Telekommunikation. E-Mail-Anbieter übertrügen auch selbst keine Nachrichten, sondern bedienten sich hierfür nur der Dienste anderer. Und schließlich verlange kein Anbieter für einfache E-Mails Geld, sie refinanzierten sich vielmehr über Zusatzdienste („Zustellungen“ oder Supportleistungen).
Der Aufsatz Schusters hat meine Auffassung ins Wanken gebracht. Weniger wegen der Entgeltlichkeit – De-Mails sollen ja gerade entgeltlich sein, jedenfalls dem Grunde nach –, doch wegen der technischen Ausführungen zur Signalübertragung.
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