Schriftformfunktionen und Signaturen

Nach der Darstellung der Schriftformfunktionen nun die versprochene Erläuterung, ob und inwieweit elektronisch signierte Dokumente diese Funktionen zu erfüllen vermögen.

Noch einmal die Funktionen, getrennt nach Urkunde, Unterschrift und der Kombination aus beidem, im Überblick:

Urkunde:
– Perpetuierungsfunktion
– Beweisfunktion.
– Kontrollfunktion
– Traditionsfunktion
– Seriositätsfunktion

Unterschrift:
– Abschlussfunktion
– Identitätsfunktion
– Echtheitsfunktion
– Warnfunktion

unterschriebene Urkunde:
– Integritätsfunktion

Zunächst zu den Funktionen der Unterschrift. Enthält ein elektronisches Dokument den Namen des Verfassers, sind die Identitätsfunktion der Unterschrift sowie ihre Abschlussfunktion erfüllt. Dann nämlich lässt es den (vermeintlichen) Autor der Nachricht sowie ihren inhaltlichen Abschluss deutlich werden. Bei signierten Dokumenten ist das in noch stärkerem Maße der Fall. Die Signatur schließt das gesamte Dokument ein und damit ab; das Zertifikat benennt den Signaturinhaber. Solange die Signierung ohne Zugang zum Signaturschlüssel faktisch ausge­schlossen ist, erfüllen Signaturen die Echtheitsfunktion in sehr hohem Maße. (Bei der Handy-Signatur ist der faktische Ausschluss dagegen problematisch.) Die Warnfunktion sieht der Gesetzgeber als erfüllt an. Ich habe meine Zweifel: Die Eingabe einer PIN vermag nicht ebenso wie eine Unterschrift dem Erklärenden das Rechtserhebliche seines Tuns vor Augen führen. Das sieht auch der Gesetzgeber selbst:

„Zwar dürfte die Schrift­form im Mo­ment wenigstens aus subjektiver Sicht noch einen größeren Schutz vor Übereilung gewährleisten. Hierbei ist nämlich zu bedenken, dass die Schriftform die Aufgabe des Warnens und des Schutzes vor Übereilung in erster Linie aufgrund ihrer langen Tradition und nicht wegen ihrer inhaltli­chen Ausgestaltung so gut zu erfüllen vermag. Diese Tradition konnte sich bei elektronischen Dokumenten bisher […] noch nicht entwickeln.“ (BT-Drs. 14/4987 S. 17).

Ein „aber“ folgt dem „zwar“ ungeachtet der vormaligen Be­hauptung der Funktionsäquivalenz nicht.

Auch die Funktionen der Urkunde vermögen elektronische Dokumente selbst dann nicht ebenso gut zu erfüllen, wenn sie elektronisch signiert sind. Zwar können sie Informationen wie der Informationsträger Papier perpetuieren. Das gilt aber nicht hinsichtlich der Dauer: Während etwa mittelalterliche Königsurkunden noch heute ohne weiteres gelesen werden können, sind schon Dokumente aus den 1980-er Jahren aus Hardware- und Software-Gründen nur noch mit recht großem Aufwand nutzbar. Signaturen erschweren die Problematik sogar, da sie eine weitere Technik darstellen, die rasch veraltet. Hinsichtlich der Kontroll– und der Beweisfunktion gilt Entsprechendes. Zwar kann ein signiertes Dokument die Authentizität des Doku­mentes sichern, und der Empfänger auch Dritten ge­genüber den Beweis des Inhalts abgegebener Erklärun­gen führen, und können diese den Erklärungsinhalt kontrollieren. Voraussetzung ist jedoch auch bei signierten Nachrichten die Darstellbarkeit, die bereits aufgrund ihrer Eigen­schaft als elektronische Dokumente erschwert ist, da auch hier ein Compu­tersystem für die Wahrnehmbarkeit erforderlich ist. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass zur Kontrolle der Signatur ein Signaturprüfprogramm notwen­dig ist, das zum Signaturerstellungsprogramm kompatibel ist. Bereits ersteres kann nicht allgemein angenommen werden, und die Verbreitung der Signaturtechnik ist so gering, dass auch Signaturprüfprogramme in den we­nigsten Fällen vorausgesetzt wer­den können. Traditionsfunktion kommt elektronischen Dokumenten gerade nicht zu. Sie sind vielmehr „geboren, um kopiert zu werden“. (Eine Sorge nicht nur der Unterhaltungsindustrie.) Eine ihnen beigefügte Signatur ändert hieran nichts. Und schließlich vermögen auch signierte Dokumente nicht die Seriositätsfunktion zu erfül­len. Sie sind nicht anders als ungesicherte Dokumente in erster Linie Daten in elektronischer Form und gerade nicht urkundlich perpetuiert, das heißt schon der äußeren Form nach als „amtlich“ oder „seriös“ erkennbar.

Die Integritätsfunktion der unterschriebenen Urkunde erfüllt die Signatur hingegen in noch weit stärkerem Ausmaß als eine unterschriebene Urkunde. Dernn die Signaturprüfung ge­lingt nur dann, wenn das übermittelte Dokument mit dem ursprünglich signierten bis auf das letzte Bit übereinstimmt. Zu beachten ist hier aber das so genannte Präsentationsproblem: Es muss sicher gestellt sein, dass Ersteller wie Empfänger dieselbe Darstellung (Präsentation) der ja nur digital vorliegenden Information sehen.

Das zeigt: Die vom Gesetzgeber wiederholt behauptete Funktionsäquivalenz bezieht sich in erster Linie auf die Unterschriftsfunktionen, derweil die Funktionen der Urkunde kaum erfüllt sind. Echte Funktionsäquivalenz besteht nicht.

Zum Weiterlesen: Skrobotz, Das elektronische Verwaltungsverfahren, § 35 (S. 188 ff.).