Online-Formular als De-Mail-Alternative — dank Corona?

Die Steuerverwaltung Baden-Württemberg reagiert auf das erneute starke Ansteigen der Corona-Zahlen und schließt „bis auf weiteres“ die Finanzämter für den Publikumsverkehr. Anliegen sollen telefonisch erörtert werden, nur „in ganz besonderen Ausnahmefällen“ gibt es noch eine Terminvereinbarung für einen Besuch im Finanzamt. Lieber soll nun endlich digital kommuniziert werden:

Bürgerinnen und Bürger können außerdem das Kontaktformular ihres für sie zuständigen Finanzamts verwenden. Damit steht neben ELSTER und DE-Mail ein weiteres Angebot einer sicheren und kostenfreien Übermittlung von Nachrichten zur Verfügung. Auch Anlagen können bis zu einer Größe von 15 MB angefügt werden. Sollte dies nicht ausreichen, besteht die Möglichkeit, das Kontaktformular mehrmals auszufüllen und zu übermitteln.

Bei der Verwendung des Kontaktformulars stehen verschiedene Auswahlfelder zur Verfügung, anhand derer eine schnelle Zuordnung zur richtigen Ansprechpartnerin oder zum richtigen Ansprechpartner erfolgen kann. Zur Auswahl stehen beispielsweise die Themen „Belege“, „Einspruch“ oder „Umsatzsteuervoranmeldung“. Die Eingaben werden dabei unter Einhaltung des Steuergeheimnisses und des Datenschutzes sicher an das Finanzamt übermittelt.

Finanzämter Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 19. Oktober 2020

Ist nun dank Corona rechtlich möglich, was jahrelang nicht einmal denkbar schien? Bedarf nicht insbesondere der erwähnte „Einspruch“ einer Absicherung durch eine Signatur oder durch die Einreichung auf einem gesetzlich für sicher erklärten Weg, per Elster oder eben De-Mail? Stellt sich raus: nein.

Zwar heißt es in § 87a Abs. 3 AO zur möglichen Einreichung elektronischer Erklärungen:

(3) 1Eine durch Gesetz für Anträge, Erklärungen oder Mitteilungen an die Finanzbehörden angeordnete Schriftform kann, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist, durch die elektronische Form ersetzt werden. 2Der elektronischen Form genügt ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist. 3Bei der Signierung darf eine Person ein Pseudonym nur verwenden, wenn sie ihre Identität der Finanzbehörde nachweist. 4Die Schriftform kann auch ersetzt werden
1. durch unmittelbare Abgabe der Erklärung in einem elektronischen Formular, das von der Behörde in einem Eingabegerät oder über öffentlich zugängliche Netze zur Verfügung gestellt wird;
2. durch Versendung eines elektronischen Dokuments an die Behörde mit der Versandart nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes.

In den Fällen des Satzes 4 Nummer 1 muss bei einer Eingabe über öffentlich zugängliche Netze ein sicherer Identitätsnachweis nach § 18 des Personalausweisgesetzes oder nach § 78 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes erfolgen.

Abgabenordnung: § 87a AO. Elektronische Kommunikation.

Das heißt: § 87a AO erlaubt die elektronische Kommunikation, „soweit der Empfänger hierfür einen Zugang eröffnet“, Abs. 1 Satz 1. Zugleich aber verlangt die Vorschrift zum Ersatz der Schriftform eine Absicherung durch Signatur (Abs. 3 Satz 2), durch De-Mail (Abs. 3 Satz 4 Nr. 2) oder, wenn ein vom Finanzamt bereitgestelltes (!) Formular benutzt wird (Abs. 3 Satz 4 Nr. 1), zusätzlichen einen „sicheren Identitätsnachweis“. Das steht auf bürokratisch für die „eID-Funktion“ des „neuen Personalausweises“, das andere großartig gescheiterte Großprojekt des BMI. Zutreffend kritisiert daher Rätke im Standardkommentar „Klein“ zur Abgabenordnung:

Zudem lässt der Gesetzgeber unverändert drei verschiedene Verfahren zu, von denen sich bereits zwei Verfahren in der Praxis nicht durchgesetzt haben. Weder die qualifizierte elektronische Signatur noch die DE-Mail-Nachricht sind praxisrelevant. Einzig und allein ELSTER, das auch von der DATEV verwendet wird, hat sich in der Praxis als „anderes sicheres Verfahren“ durchgesetzt.

Rätke, in: Klein, Abgabenordnung, 15. Auflage 2020, § 87a AO Rdnr. 3.

Das jedem von der jährlichen Steuererklärung bekannte Programm Elster hat seine Rechstgrundlage in § 87a Abs. 6 AO sowie in § 150 Abs. 6 AO. Dort wird es „zur Erleichterung und Vereinfachung des automatisierten Besteuerungsverfahrens“ zugelassen, die technischen Einzelheiten finden sich in § 87b ff AO.

Und der Einspruch per Formular, ganz ohne „sicheren Identitätsnachweis“? Ist zulässig gemäß § 357 AO. Da heißt es, der Einspruch sei „schriftlich oder elektronisch“ anzubringen. Die von § 87a Abs. 3 AO gemeinte Schriftform ist also gar nicht angeordnet, so das es also weder einer Signatur bedarf noch einer „sicheren“ De-Mail. Schon die Übermittlung per E-Mail genügt (Klein/Rätke, § 357 AO Rdnr. 5, unter Hinweis auf BFHE 250, 12 und die BT-Drs. 17/11473, S. 52; Skrobotz, jurisPR-ITR 18/2014 Anm. 6).

Die Finanzverwaltung hat also recht, wenn sie das Formular als (rechts-)“sicheren“ Übermittlungsweg auch für Ansprüche anpreist. Ganz ohne Corona.