Partei-Briefwahl per De-Mail?

Es war Thema bei der Tagesschau, bei LTO und auch bei beck-aktuell: Wie können Online-Parteitage abgehalten werden, und wie rechtssicher ein neuer Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat bestimmt werden? (Maskulinum. Bei der CDU stehen im Jahr 2020 nur drei Männer zu Wahl.) Muss das Grundgesetz geändert werden? Ist eine Briefwahl zulässig — aber auch nötig? Oder geht es doch elektronisch? Mit De-Mail? Die dpa erläutert vorsichtshalber:

De-Mail ist ein de facto eigentlich gescheitertes IT-Großprojekt der Bundesrepublik Deutschland. Mit dem De-Mail-Gesetz von 2011 hatte man versucht, eine „sichere, vertrauliche und nachweisbare“ Kommunikation im Internet per E-Mail zu etablieren. Das Problem: De-Mail ist mit herkömmlicher E-Mail nicht kompatibel.

LTO/dpa vom 2. November 2020: Geset­zes­än­de­rung für Par­tei­tags­wahlen in der Coro­na­pan­demie?

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat hierzu am 28. Oktober (WD 3 — 249/20) und 30. Oktober 2020 (WD 3 — 254/20) zwei Gutachten veröffentlicht, das zweite mit Fokus auf die De-Mail. Er erörtert darin die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Gewährleistung der Wahlrechtsgrundsätze, die jedenfalls dem Grunde nach auch schon bei parteiinternen Wahlen zu beachten sind. Nach Art 38 GG ist sicherzustellen, dass eine Wahl „allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim“ abläuft. Zugleich aber muss die Öffentlichkeit der Wahl gesichert sein, hat das BVerfG im Jahr 2009 entschieden:

Die Öffentlichkeit der Wahl ist Grundvoraussetzung für eine demokratische politische Willensbildung. Sie sichert die Ordnungsgemäßheit und Nachvollziehbarkeit der Wahlvorgänge und schafft damit eine wesentliche Voraussetzung für begründetes Vertrauen der Bürger in den korrekten Ablauf der Wahl. Die Staatsform der parlamentarischen Demokratie, in der die Herrschaft des Volkes durch Wahlen mediatisiert, also nicht dauernd unmittelbar ausgeübt wird, verlangt, dass der Akt der Übertragung der staatlichen Verantwortung auf die Parlamentarier einer besonderen öffentlichen Kontrolle unterliegt. Die grundsätzlich gebotene Öffentlichkeit im Wahlverfahren umfasst das Wahlvorschlagsverfahren, die Wahlhandlung (in Bezug auf die Stimmabgabe durchbrochen durch das Wahlgeheimnis) und die Ermittlung des Wahlergebnisses.

Grundlage der Öffentlichkeit der Wahl bilden die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen für Demokratie, Republik und Rechtsstaat (Art. 38 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG).

BVerfGE 123, S. 29 — Wahlcomputer

Diese Öffentlichkeit sieht die Mehrheit der Stimmen in der verfassungsrechtlichen Literatur bei einer rein elektronischen Stimmabgabe nicht gewährleistet. Die Vorgänge in der Blackbox sind zu undurchsichtig, eine wirksame Kontrolle unmöglich. Ob Fehler nur Bugs sind oder Grundlage für oder Anzeichen von Manipulationen, ist ganz selten festzustellen. Der Innenausschuss des Bundestages sagt daher ganz lakonisch:

Die elektronische Durchführung der Schlussabstimmung ist bei innerparteilichen Wahlen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich.

BT-Drs. 19/23197 S. 16, zu Artikel 2 Nummer 2 (§ 5 Absatz 4) Satz 3

Der Wissenschaftliche Dienst greift das auf und verweist dazu auf Probleme für die notwendige Geheimhaltung einer immerhin für Hacker attraktiven Wahl. Er erwägt aber Folgendes:

Einigkeit besteht allerdings in der Frage zur Gültigkeit von Briefwahlen[, die] bis hin zu Schlussabstimmungen zulässig wäre[n]. Einen Lösungsweg böte [daher] die rechtssichere E-Mail „De-Mail“ in Verbindungmit einer eingeschalteten Option zur Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sowie mit einer über einen Hashwert gesicherten Eingangsbestätigung zur Prüfung der unverfälschten Zustellung. Damit stünde eine gemeinsame Plattform unter einem einheitlichen technischen Standard zur Durchführung von elektronischen Abstimmungen und ggf. Wahlen zur Verfügung. Alle Teilnehmer benötigen in diesem Fall einen Personalausweis (nPA) zur Authentifizierung sowie ein entsprechendes De-Mail-Konto samt Zugangsdaten. Auf Empfängerseite wird ebenfalls mindestens ein De-Mail-Konto benötigt. Mit einer Anwendung von E-Mail-Systemen dürften die meisten Anwender gut vertraut sein. Abstimmungen könnten dann über einfache PDF-Dokumente oder sogar im Text einer De-Mail realisiert werden. Für Wahlen wären unter Einhaltung der Geheimhaltung noch weitere organisatorische oder technische Maßnahmen zu treffen. So könnte eine Wahl beispielsweise über notariell unterstützte spezifische Wahl-Postfächer erfolgen oder aber unter Einsatz besonders vertrauenswürdiger Wahlhelfer beim Empfänger-Postfach.

Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, 30. November 2020:
Elektronische Abstimmungen bei parteiinternen Wahlenper De-Mail

Diese Ideen erscheinen mir noch nicht ausgereift zu sein. Der Ablauf des Wahlverfahrens ist bloß skizziert, die einzelnen Anforderungen sind nicht näher begründet, der Entlastungseffekt gering. Warum neben der vermeintlich „sicheren“ De-Mail noch einen „neuen Personalausweis“? Warum um alles in der Welt PDF-Dokumente? Und was schließlich sind „notariell unterstützte spezifische Wahl-Postfächer“? Das De-Mail-Gesetz kennt so etwas jedenfalls nicht. Da aber auch nach dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes eine Gesetzesänderung nötig ist, kommt diese Lösung — wie immer sie aussieht — jedenfalls für die drei Herren der CDU ganz offensichtlich zu spät.