Auch das steht schon fast überall, nun eben auch hier: Der Telekom-Chef hat die De-Mail zum „toten Gaul“ erklärt, und den Ausstieg des Unternehmens verkündet.
De-Mail sei »überkompliziert« und ein »toter Gaul«, sagte Höttges. Es habe trotz Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe »nie jemanden gegeben, der dieses Produkt genutzt hat«, deshalb habe man den Dienst »eingestellt«.
Telekom-Chef erklärt De-Mail zum »toten Gaul«, Der Spiegel vom 26. Februar 2021
Das Zitat stimmt, das Framing im Spiegel-Artikel ist aber etwas unglücklich: Das „ausführliche, fast zweistündige Interview mit dem YouTuber Tilo Jung“ befasst sich eine ganze Minute lang mit der De-Mail; drumherum geht es um alles andere bei der Telekom, von der NSA in den europäischen Datennetzen, den Umgang mit Corona in der Telekom und überhaupt, dem Internet of Things, den Auftritt in anderen europäischen Ländern, bis hin zu den Aussichten im Amerika-Geschäft, und und und.
Ab ca. 1:13:00 geht es los: Telekom-Vorstandsvorsitzender Timotheus („Tim“) Höttges hat soeben die Grenzen des Konzepts „fail fast“ erläutert, des schnellen Eingestehens, gescheitert zu sein. Congstar beispielsweile, die günstige Mobilfunkmarke der Telekom, sei anfangs sehr langsam angelaufen. Er habe um Geduld geworben, nun sei es ein profitables Erfolgsmodell mit über 500 Millionen Euro Umsatz. Anders dagegen De-Mail:
Wir hatten mal die Idee der sicheren, verschlüsselten E-Mail für die gesamte Kommunikation des Rechtsverkehrs und der öffentlichen Kommunikation. Das war ein Auftrag aus dem Innenministerium damals, das zu machen. Rein auf privatwirtschaftlicher Initiative. Wir haben mit United Internet ein entsprechendes Produkt aufgebaut, und dergleichen. Wir haben einen dreistelligen Millionenbetrag investiert, aber es hat nie jemanden gegeben, der dieses Produkt genutzt hat, weil es einfach überkompliziert war. Wir haben in dem Raum hier gesessen und haben gesagt: „Wisst ihr was, wir können jetzt noch lange auf einem toten Gaul reiten, der wird deswegen nicht schneller.“ Und haben das Produkt eingestellt.
Tim Höttges, im Interview mit Thilo Jung, Jung & Naiv vom 18. Februar 2021
Marcel Rosenbach freut sich im Spiegel sichtlich über die markigen Worte, ordnet sie aber richtig ein: Das Unternehmen habe rasch erklärt, der Dienst sei nicht eingestellt, nur die Vermarktung gestoppt. Bestandskunden würden weiter versorgt. Die anderen Projektbeteiligten wie United Internet und Mentana Claimsoft teilten die Einschätzung nicht. Auch Hal Faber hält die Nachricht vom Tod der De-Mail für übertrieben: „Nur dann treibt mich die Frage herum, woher eigentlich diese deprimierenden Mitteilungen der Deutschen Rentenversicherungen kommen, die mir per De-Mail geschickt werden“, und resümiert:
Nein, De-Mail war kein Erfolgsmodell, doch für ein paar Spezialanwendungen durchaus zu gebrauchen. Vielleicht rappelt er sich nochmal auf, der alte Gaul.
Hal Faber, Was War. Was Wird. vom 28. Februar 2021
Vielleicht ja aber auch nicht. Mit den Behörden, die wir nun einmal haben. Der bei United Internet für die De-Mail zuständige Jan Oetjen etwa beklagt sich:
Während Nutzerinnen und Nutzer sich im Homeoffice oder beim Homeschooling schnell auf neue Technologien eingestellt haben, gibt es gerade aufseiten von Behörden noch Nachholbedarf. So sehen wir zum Beispiel durchaus Steigerungen im Bereich der rechtssicheren Kommunikation über De-Mail. Viele Behörden hinken hier aber noch weit hinterher und tun sich daher schwer, für die Bürger digital erreichbar zu sein.
Jan Oetjen im Interview mit den Badischen Neuesten Nachrichten, 27. Februar 2021
Das Innenministerium reitet den „toten Gaul“, so es denn einer ist, auch ohne die Telekom weiter. Das Justizministerium schafft lieber eigene Untote.