Die Parallelen sind verblüffend.
Als der Gesetzgeber im Jahre 1997 mit der elektronischen Signatur eine ganz neue Technologie und ihren organisatorischen Rahmen normierte, sah er die Entwicklung im Fluss. Er forderte die Bundesregierung auf (BT-Drs. 13/7935),
die Entwicklung bei den neuen Informations- und Kommunikationsdiensten zu beobachten und darzulegen, ob und ggf. in welchen Bereichen Anpassungs- bzw. Ergänzungsbedarf bei den rechtlichen Rahmenbedingungen für die neuen Dienste besteht und hierüber dem Deutschen Bundestag bei Bedarf, spätestens aber nach Ablauf von zwei Jahren nach Inkrafttreten des [Gesetzes] einen Bericht vorzulegen.
Die Frist von zwei Jahren erwies sich alsbald als zu knapp. Die Einführung der neuen Technologie verzögerte sich, auch aus verwaltungspraktischen Gründen. Es gab nur wenige Anbieter und kaum Nutzer, so dass nennenswerte praktische Probleme kaum aufgetreten sein konnten. Der Bericht griff daher im Wesentlichen nur akademische Anmerkungen zu Detailfragen auf, und erörtert im Übrigen ausführlich mögliche Fördermaßnahmen zur weiteren Verbreitung der Technologie.
Das De-Mail-Gesetz, das wie das Signaturgesetz aus der Feder Roßnagels stammt (vgl. ders., Rechtsregeln für einen sicheren elektronischen Rechtsverkehr, CR 2011, 23), sah von vornherein eine Evaluierungspflicht vor. Nach Artikel 4 des Gesetzes
[beobachtet] die Bundesregierung […] die Entwicklung der De-Mail-Dienste und legt dar, ob und gegebenenfalls in welchen Bereichen Anpassungss oder Ergänzungsbedarf bei den rechtlichen Rahmenbedingungen für die neuen Dienste und bei den Vorschriften über die elektronische Zustellung besteht.
Hierbei wird sie insbesondere auch prüfen, ob
1. gesetzliche Anpassungen im Hinblick auf die gegenseitige Anerkennung der Kommunikation per De-Mail zwischen Verbrauchern und Unternehmen,
2. die Einführung einer Zertifizierung von Verbraucherschutzkriterien als Voraussetzung für die Akkreditierung von Diensteanbietern sowie
3. die verpflichtende Akkreditierung
geboten sind.Sie legt hierüber dem Deutschen Bundestag bei Bedarf, spätestens jedoch nach Ablauf von drei Jahren nach
Inkrafttreten dieses Gesetzes einen Bericht vor.
Der Bericht liegt nun, knapp ein Jahr verspätet, vor – als Zwischenbericht. Schon die ursprüngliche, auf drei Jahre verlängerte Frist erwies sich als zu knapp. Ihre deutliche Überschreitung genügte nicht. Die Einführung der neuen Technologie verzögerte sich wiederum, erneut auch aus verwaltungspraktischen Gründen. Es gibt nur wenige Anbieter und kaum Nutzer, so dass nenneswerte praktische Probleme kaum aufgetreten sein können.
In den Worten des Berichtes:
Da die Markteinführung von DE-Mail erst vor ein- bzw. zwei Jahren erfolgte, konnte die für die Entstehung von Netzwerkeffekten erforderliche „kritische Masse“ von Nutzern noch nicht erreicht werden.
Zudem hat sich die Einführung von De-Mail im Bereich der Bundesverwaltung aufgrund [Schwierigkeiten im Vergabeverfahren] erheblich verzögert. […] Die zentrale Anbindung der Bundesverwaltung an De-Mail wird derzeit vorbereitet und kann entsprechend verzögert erst Anfang 2015 erfolgen, so dass auch hier weniger verwaltungsspezifische Erfahrungen mit De-Mail vorliegen als ursprünglich erwartet.
Aufgrund der Verzögerung bei der Einführung von De-Mail ist der durch den Gesetzgeber vorgesehene Zeitraum
von drei Jahren zur Beobachtung der Entwicklung der De-Mail-Dienste durch die Bundesregierung
erheblich verkürzt worden; es liegen entsprechend zu wenige Erfahrungswerte und Daten vor, um die durch
den Bericht zu bewertenden Fragen angemessen beantworten zu können.
Die Bundesregierung verspricht daher einen endgültigen Bericht bis Ende 2016 und erörtert im Übrigen ausführlich mögliche Fördermaßnahmen zur weiteren Verbreitung der Technologie.
Sie führt hierzu ihr ambitioniertes Vorhaben aus der Digitalen Agenda auf, De-Mail flächendeckend einzuführen, und stellt daneben in Aussicht, De-Mail als „elektronischen Zustelldienst“ nach der Vertrauensdienste-Verordnung zu etablieren:
Die Bundesregierung wird sich intensiv in die Beratung der Durchführungsrechtsakte einbringen. Ziel wird hierbei zum einen sein hinreichende Sicherheitsanforderungen für europäische elektronische Zustelldienste zu etablieren. Zum anderen soll De-Mail ab Geltung der Regelungen zu elektronischen Zustelldiensten den Anforderungen der eIDAS-VO entsprechen und auf dieser Grundlage mit elektronischen Zustelldiensten anderer Mitgliedstaaten interoperabel werden
… und damit mit dem Segen Europas unabdingbar und unabschaffbar.
Letztlich sieht sie wie beim Signaturgesetz und wie die Europäische Kommission bei der Signaturverordnung die Defizite nicht beim Produkt, bei der Technologie. Bescheiden und selbstkritisch sucht sie den Fehler vor allem bei sich und in der Umsetzung des Gesetzes. Warum die Masse kritisch eingestellt ist gegenüber der Technologie, erörtert sie nicht.
Im Jahr 18 nach Erlass des Gesetzes zur digitalen Signatur hat diese übrigens immer noch keine „kritische Masse“ erreicht, weswegen der Gesetzgeber die „mangelnde Akzeptanz der qualifizierten elektronischen Signatur“ bereits im vorvorigen Jahr zum Anlass nahm, auf diese perspektivisch zu verzichten.
Detlef Borchers bei heise.de zum gleichen Thema.
[Spiegel Online und Golem.de zum selben Thema, Golem auch mit einer Einschätzung durch die Telekom samt erwartbar positivem Ausblick.][1]
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[1] Nachtrag 2015-02-26