Bei der Verabschiedung des De-Mail-Gesetzes bat der Bundestag die Bundesregierung um einen Bericht zu der Frage, „ob und gegebenenfalls in welchen Rechtsgebieten De-Mail … die einzelnen Funktionen der Schriftform alternativ zur qualifizierten elektronischen Signatur“ erfüllen könne. Der damit in der Anfrage wie im nun vorgelegten Bericht verwendete Begriff der „Funktionen der Schriftform“ ist eine teils fehlleitende Verkürzung. Das willl ich hier zunächst erläutern. Hierzu stelle ich auch „die einzelnen Funktionen der Schriftform“ dar. Inwieweit sie durch eine De-Mail-Nachricht zu erfüllen sind, diskutiere ich später.
Schon der Begriff der Schriftform ist kein einfacher. Zwar sieht § 126 BGB vor:
„Ist durch Gesetz schriftliche Form vorgeschrieben, so muss die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden.“
Danach erfordert die Schriftform also eine handschriftlich unterzeichnete Urkunde, also eine Unterschrift auf Papier. Die Vorschrift gilt jedoch entgegen ihrem sehr weiten Wortlaut (nach Art. 2 EGBGB meine „Gesetz“ im BGB „jede Rechtsnorm“) nicht in allen Rechtsgebieten. Insbesondere das Prozessrecht und das (materielle) öffentliche Recht geht von einem eigenständigen Schriftformbegriff aus:
„Die Vorschrift des § 126 Abs. 1 BGB […] gilt im öffentlichen Recht nicht.“ (BVerwG, Urteil vom 5. Juni 1974 – BVerwG VIII C 1.74 – BVerwGE 45, 189).
Insbesondere verzichtet das Recht in bestimmten Bereichen in vielen Bereichen auf die (Original-) Unterschrift. Das bekannteste Beispiel ist im Prozessrecht das Fax: Hier genügt ja die bekanntlich nur ausgedruckte Kopie. Ein so genanntes Computerfax muss gar nicht unterschrieben sein (Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 5. April 2000 – GmS-OGB 1/98 – BGHZ 144, 160). Und auch das allgemeine Verwaltungsrecht enthält etwa in den Absätzen 3 und 5 des § 37 VwVfG eigenständige Vorgaben bezüglich des Erfordernisse von Unterschriften unter Verwaltungsakten vor. Der Bericht erkennt das ausdrücklich an (BT-Drs 17/10720 S. 3). Zum Ganzen Skrobotz, Das elektronische Verwaltungsverfahren, §§ 31 und 32 (S. 148 ff.).
Gehen wir aber ungeachtet dessen einmal von der „klassischen“ Schriftform aus: Urkunde und Unterschrift. Als ihre Funktionen werden immer wieder genannt „Abschlussfunktion, Perpetuierungsfunktion, Identitätsfunktion, Echtheitsfunktion, Verifikationsfunktion, Beweisfunktion und Warnfunktion“ (BT-Drs. 14/4987 S. 16); ebenso der genannte Bericht der Bundesregierung (BT-Drs. 17/10720). Jedenfalls so stimmt das aber nicht.
Gehen wir von der Urkunde aus. Sie perpetuiert den Text, verkörpert ihn stofflich. Ihr kommt daher Perpetuierungsfunktion zu. Sie ermöglicht die dauerhafte, beliebig oft wiederholbare Wahrnehmbarkeit der Erklärung, und zwar in einer unmittelbaren Form: Ein Lesegerät ist nicht erforderlich. Das wiederum begründet ihre Beweisfunktion. Jeder Inhaber der Urkunde kann mit ihr die Erklärung Dritten vorzulegen und so diesen gegenüber den Nachweis zu führen. Ein klassisches Beispiel ist der Führerschein, der bezeugt, dass man die Fahrerlaubnis erworben hat. Dritte können den Inhalt der Urkunde kontrollieren, was Kontrollfunktion genannt wird. Die Verwaltung führt ihre Akten auch deshalb, damit die Bürger, die Gerichte und die Behördenleitung das Verwaltungshandeln überprüfen können. Aus dem gleichen Grund müssen Handelsunternehmen Bücher führen – damit die Anteilseigner oder die Finanzbehörden den Betrieb kontrollieren können. Immer noch verhindert, zumindest aber erschwert die stoffliche Verkörperung der in der Urkunde niedergelegten Information ihre beliebige Vervielfältigung. Diese Eigenschaft wird Transportfunktion bzw. Traditionsfunktion (von tradieren = weitergeben) genannt. Sie wird augenfällig bei Inhaberpapieren wie Geldscheinen und Fahrkarten; der Club-Stempel auf dem Handrücken erfüllt dieselbe Funktion. Und schließlich führt die bislang doch recht aufwendige Herstellung von zumal besonders gestalteten Urkunden dem Empfänger die Wichtigkeit, die Seriosität der Erklärung vor Augen. Wer ein „amtlich aussehendes“ Schreiben erhält, ist von der Glaubwürdigkeit des Inhalts eher überzeugt als beim Erhalt einer SMS. Wichtige Anlässe sind noch immer mit der Übergabe spezieller Urkunden verbunden. Die Ernennung von Beamten und Ministern ist ein bekanntes Beispiel. Diese Funktion der Urkunde nenne ich ihre Seriositätsfunktion (Skrobotz ebd. § 34 II, S. 184 ff.).
In vielen Fällen trägt die Urkunde eine Unterschrift. Diese schließt den Text (als Unterschrift) in räumlicher wie zeitlicher Hinsicht ab, weshalb Abschlussfunktion genannt wird, dass die Unterschrift klarstellt, dass es sich bei dem Dokument nicht um einen nicht für den Rechtsverkehr bestimmten Entwurf, sondern um eine materiell-rechtlich oder prozessual erhebliche Erklärung handelt, der Rechtswirkung zukommen soll. Der Unterschrift kommt weiter Identitätsfunktion zu: Das Unterschreiben mit dem Namenszeichen lässt erkennen, wer unterschrieben hat. Wenn die Unterschrift hinreichend charakteristisch ist, kommt ihr Echtheitsfunktion zu: Nur Lieschen Müller unterschreibt genau so. Das gewährleistet, dass die Unterschrift und damit auch das Dokument allein vom Unterzeichnenden herrührt und insofern echt ist. Die Warnfunktion soll dem Unterschreibenden Übereilungsschutz bieten. Uns ist vertraut, dass vor allem Rechtsgeschäfte größeren Gewichts eine Unterschrift verlangen. Daher ist es üblich, dass wir das zu Unterschreibende zumindest überfliegen oder sogar durchlesen und auf nachteilige Regelungen hin untersuchen, ehe wir unterschreiben. Die weiterhin genannte Verifikationsfunktion als die Möglichkeit, die Echtheit von Unterschrift und Dokument und damit die Identität des Urhebers zu überprüfen, ist nur eine Kombination aus der Echtheits- und der Identitätsfunktion.
Und schließlich die unterschriebene Urkunde: Ihr kommt Integritätsfunktion zu. Sie garantiert die Unverändertheit der Erklärung, nachdem diese vom Erklärenden unterschrieben wurde. Die Unterschrift allein vermag Änderungen am Text nicht deutlich zu machen. Das kann allein die Urkunde aufgrund der physischen Verkörperung des Textes auf einem Trägermedium, das bei Änderungen der perpetuierten Erklärung (durch Radierungen etwa) regelmäßig ebenso modifiziert wird oder Hinzufügungen aufgrund des fixen, nicht mehr änderbaren Schriftbildes jedenfalls erkennen lässt. Die Integritätsfunktion baut damit auf den Eigenschaften der Urkunde wie denen der nur schwer zu fälschenden Unterschrift auf (Skrobotz ebd. § 34 I und III, S. 182 ff.).
Die Erfüllung dieser Funktionen durch Signatur und / oder De-Mail erläutere ich später. (Nachtrag: hier und hier.)