Im August 2024 „endet in der Verwaltung De-Mail, endlich!!!“

postete (und twitterte) der Bundes-CIO Staatssekretär Dr. Markus Richter (#GernPerDu) jüngst, mit drei Ausrufezeichen.

Die Nachricht wurde rasch auf den üblich verdächtigen Seiten weiterverbreitet, mit jeweils ähnlichem Inhalt (aber einem individuellen Cookie-Overlay): Das 2012 durch Frau Merkel persönlich am Cebit-Stand der Telekom gestartete Projekt war von Anfang an wenig beliebt, umständlich und teuer. Experten zerrissen es in der Luft. Millionen wurden versenkt, für eine Handvoll Nutzer. Vor zwei Jahren stieg die Telekom vom „toten Gaul“. Nun reicht es auch dem Bund, der damit der wiederholten Forderung des Rechnungshofs entspricht, das Gesamtprojekt auf den Prüfstand zu stellen und schlechtem Geld kein Gutes nachzuwerfen (sunk cost).

Der Regierungswechsel hat sicherlich geholfen, doch auch ein weiterer Umstand. Warum nämlich endet der jahrzehntelange Versuch nun gerade („endlich!!!“) Ende August 2024? Die Antwort hat Christian Wölbert auf heise.de, von wo alle anderen abschreiben:

Grundlage für die Abschaltung von De-Mail in der öffentlichen Verwaltung sei das Auslaufen des Rahmenvertrags mit dem Provider FP Digital Business Solutions, erklärte das BMI auf Nachfrage von c’t. Dieser laufe Ende August 2024 aus. Eine rechtliche Umsetzung des De-Mail-Endes befinde sich „aktuell noch in Prüfung“.

Christian Wölbert, Bundesregierung kündigt Ende von De-Mail in der Verwaltung an, 8. Juni 2023

Dieser Anbieter, vormals Mentana Claimsoft, ist einer von nur noch zwei verbliebenen De-Mail-Dienstleistern. Der andere, 1&1 mit der Marke web.de, ist not amused. Und hält trotzig an dem von ihm so lange geduldig begleiteten Projekt fest:

Jan Oetjen, CEO von GMX und Web.de, kritisierte gegenüber c’t die Entscheidung der Bundesregierung: „De-Mail bleibt der einzige interoperable und verfügbare Standard für die rechtsverbindliche digitale Kommunikation in Deutschland, den wir weiter anbieten.“ Statt immer wieder neue isolierte Konzepte vorzustellen, solle man die bestehenden umsetzen und „in Interoperabilität denken“. Sonst falle Deutschland in der Digitalisierung immer weiter zurück.

Christian Wölbert, Bundesregierung kündigt Ende von De-Mail in der Verwaltung an, 8. Juni 2023

Spannend ist der Satz des BMI, man prüfe aktuell die rechtliche Umsetzung. Der dort jüngst erarbeitete Entwurf des „Online-Zugangsgesetzes 2.0“ (BR-Drs. 226/23) schafft es immerhin, auf 80 Seiten das Wort „De-Mail“ nur genau einmal zu erwähnen: als eine Möglichkeit, die Schriftform zu erfüllen, und zwar „mit der Versandart nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes (§ 3a Absatz 2 Satz 4 Nummer 2 f. VwVfG)“. Ansonsten zeigt es den auch von Richter herausgestellten Weg auf: die Schaffung einer „BundID“ (für Bürger) und eines „Unternehmenskontos“, im Gesetz „Bürgerkonto“ bzw. „Organisationskonto“ genannt (§ 2 Abs. 5 OZG n. F.). Das EGVP der Justiz soll nicht angetastet werden.

Ebenfalls unangetastet bleibt — vorerst — die Verpflichtung der Bundesbehörden auf De-Mail-Konten, § 2 Abs. des E-Government-Gesetzes:

EGovG § 2. Elektronischer Zugang zur Verwaltung. (2) Jede Behörde des Bundes ist verpflichtet, den elektronischen Zugang zusätzlich durch eine De-Mail-Adresse im Sinne des De-Mail-Gesetzes zu eröffnen, es sei denn, die Behörde des Bundes hat keinen Zugang zu dem zentral für die Bundesverwaltung angebotenen IT-Verfahren, über das De-Mail-Dienste für Bundesbehörden angeboten werden.

Jedenfalls vordergründig. Eventuell ist die Passage auch heute noch so zu lesen, wie es die Gesetzesbegründung von vor zehn Jahren (BR-Drs. 557/12) nahelegt: dass der Bund sich hier verpflichtete, für jede seiner Behörden ein De-Mail-Konto zu eröffnen. Vielleicht aber ergibt die rechtliche Prüfung des BMI unter genauer Exegese der damaligen Erwägungen auch das Gegenteil: Dass die Bundesbehörden nur darauf verpflichtet werden, sich dem bestehenden IT-Verfahren anzuschließen. Woran es dann fehlt, wenn das BMI den Vertrag mit FP nicht verlängert. Was deshalb unschädlich wäre, weil niemand der De-Mail nachtrauert:

[H]insichtlich der Kommunikation insbesondere zwischen dem Bürger/der Bürgerin und Behörden gilt, dass auch diese darum bemüht sein sollten, für die Kommunikation mit dem Bürger/der Bürgerin De-Mail zu verwenden, wenn dieser es fordert. Eine Kommunikation zwischen Bürgerinnen und Bürgern und öffentlicher Stelle mittels De-Mail setzt voraus, dass auch die Behörde sich entschieden hat, De-Mail zu nutzen, denn anderenfalls könnte der Bürger/die Bürgerin der Behörde keine De-Mail senden. Die Behörde soll also den Bürger/die Bürgerin nicht ohne Grund auf andere Kommunikationswege als auf den über De-Mail verweisen können.

entwurf zum E-Government-Gesetz, BR-Drs. 557/12

„wenn dieser [Bürger] es fordert“: Die Behörden müssen nur („auch“) ein De-Mail-Konto haben, um einen echten Bedarf decken zu können. Und nicht für die vernachlässigbar kleine Anzahl an De-Mails, die tatsächlich eingehen.

Bei diesem Verständnis könnte De-Mail still und heimlich sterben gehen. Näher am „endlich!!!“ des Staatssekretärs liegt aber ein (unendlich langweiliges Artikel-) Gesetz, das ehrenhalber die Reste zusammenkehrt und sie würdevoll beerdigt.